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AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 15 Min.

FASSUNGEN:
Fassung für Streichquartett, Klavier und Sprecher (1942);
Fassung für Streichorchester, Klavier und Sprecher (1942)

VERLAG:
Belmont Music Publishers (Partitur, Fassung für Kammerbesetzung)
G. Schirmer (Music Sales Classical - Leihmaterial Orchesterfassung)

Das musikalische Spätwerk als emphatischer Begriff des im 19. Jahrhundert verwurzelten Geniekults wird gemeinhin mit dem Namen Beethoven assoziiert. Spätwerke sind gleichsam zeit- und epochenlos, worauf Theodor W. Adornos Diktum, es fehle »ihnen all jene Harmonie, welche die klassizistische Ästhetik vom Kunstwerk zu fordern gewohnt ist«, abzielt. In kulturanthropologischer Hinsicht liegt das dualistische Moment des Phänomens in der Verschränkung höchster Abstraktion und dennoch Archaik begründet, welche gleichsam als Urform zukünftige Entwicklungen vorwegnimmt. Die Ablösung kanonisierter Parameter innerhalb eines Stilkontinuums, wie Melodie, Form oder Satztechnik, durch Setzung neuer stilbildender Kriterien erlaubt den Vergleich mit Abstraktion als Dissoziation gewohnter Zusammenhänge: in der Form als musikalischer Metaebene und deren thematisch bedingter Mikrostruktur. Das Potential des Spätwerks liegt in dessen utopischer Dimension begründet, hierin eine klare Abgrenzung zum biographisch determinierten Alterswerk etwa bei Schönberg. Arnold Schönbergs Schaffen nach seiner Emigration in die USA ist sowohl aufgrund seiner stilistischen und thematischen Inhomogenität als auch Gattungsvielfalt nur schwer klassifizier- bzw. periodizierbar. Anhaltspunkte für das Sprechen über ein »Spätwerk« im traditionellen Sinne bieten lediglich die biographischen Eckdaten 31. Oktober 1933 (Ankunft in New York) und 13. Juli 1951 (Tod in Los Angeles). Nach Ausschluss von der Preußischen Akademie der Künste in Berlin verließ Schönberg im Mai 1933 Nazi-Deutschland und kehrte nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Arcachon und Paris, wo er zum Judentum zurückkehrte, Europa für immer den Rücken; am 31. Oktober 1933 kam er mit seiner Frau Gertrud und der einjährigen Tochter Nuria in New York an. Lehrtätigkeiten am Malkin-Konservatorium in Boston und New York sowie Vorträgen an der University of Chicago folgte 1934 die Übersiedlung an die amerikanische Westküste nach Los Angeles, wo Schönberg an der University of Southern California Vorlesungen hielt und 1936 eine Professur an der University of California at Los Angeles annahm. Nach seiner Emeritierung 1944 gab er Privatunterricht, hielt Sommerkurse und widmete sich musikpädagogischen Werken sowie seinem kompositorischen Œuvre. Das politische Engagement Schönbergs geht vor allem auf die vorletzte Emigrationsstufe seiner Biographie in Frankreich zurück, wo er 1933 seine Leitgedanken zum Judentum und zur Gründung einer jüdischen Einheitspartei umfassend formulierte (systematisch zusammengefasst im »Four-Point Program for Jewry« von 1938). In brieflichen Äußerungen hatte er sich – ausgelöst durch das sogenannte »Mattsee-Ereignis«, einem antisemitischen Pogrom im Sommer 1921, das ihn nachhaltig zu einer intensiveren Reflexion jüdischer Identität veranlasste – bereits seit den frühen 1920er Jahren mit den Auswirkungen des Antisemitismus befasst, im zionistischen Drama »Der biblische Weg« (1926/1927) wird das Problem innerjüdischer Gespaltenheit und die angestrebte Einigungspolitik erstmals in seinem Œuvre als Hauptthema der Handlungsentwicklung ästhetisiert. Außerhalb der politischen Schriften legte Schönberg mit der »Ode to Napoleon Buonaparte« op. 41 (1942) sowie der Kantate »A Survivor from Warsaw« op. 46 (1947) zwei Kompositionen vor, die sich mit der weltpolitischen Situation der 1940er Jahre auseinandersetzen. Stellt der »Survivor« im Kern ein religiöses Bekenntnis zum Monotheismus und zur jüdischen Identität dar, handelt es sich bei der »Ode to Napoleon« um eine klare politische Stellungnahme: die Ablehnung der Tyrannei und das Bekenntnis zur Demokratie, dessen emblematischer Name »George Washington« heißt. In einer mit »Wie ich dazu kam, Ode to Napoleon zu komponieren« (»How I came to compose the Ode to Napoleon«) betitelten englischen Einführung beschrieb Schönberg nicht nur die Entstehung des Werks, das von der League of Composers in Auftrag gegeben wurde, sondern auch dessen Orientierung an Beethovens »Eroica« und »Wellingtons Sieg«: »I know it was the moral duty of intelligencia to take a stand against tyranny. But this was only my secondary motive. I had long speculated about the more profound meaning of the nazi philosophy.« Schönbergs Schüler Leonard Stein erinnert sich, dass sich sein Lehrer in der Gestaltung der Deklamation an der Diktion der Stimme Winston Churchills orientierte, dessen Reden er im Radio gehört hatte, und stellt auch einen Konnex zwischen der Konzeption von op. 41 und dem Luftangriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 sowie der Kriegserklärung Roosevelts an Japan her. Der Titel der zwischen 12. März und 12. Juni 1942 entstandenen Komposition bezieht sich auf eine bereits zur Kompositionszeit historische Figur, auf Napoleon – und eben nicht auf Adolf Hitler, der in der Entstehungszeit wohl gemeint sein müsste. Schönbergs ursprüngliche Textpräferenz »The Isles of Greece« von Byron wurde schließlich zugunsten des Odentextes verworfen, den Lord Byron als unmittelbaren Reflex auf Napoleons Abdankung im April 1814 verfasste. Lord Byron wurde in den 1930er und 40er Jahren im amerikanischen Feuil­le­ton nicht nur als Bohemien und Abenteurer, sondern insbesondere auch als Freiheitskämpfer rezipiert. Schönberg war diesem populären Bild des Dichters durchaus verpflichtet. Hinter Byrons Hohn verbirgt sich jedoch die ironisch literarisierte Enttäuschung über Napoleons Abgang von der politischen Bühne – eine im Widerspruch zu Schönbergs Absichten stehende Lesung des Textes, worauf Dirk Buhrmann hingewiesen hat. Im Gegensatz zu Byrons Textvorlage liegt bei Schönberg nicht nur die Tyrannei, sondern auch die Verheißung von Demokratie und Menschenwürde in der Vergangenheit. Tyrannei und deren Niederwerfung bilden in diesem politischen Ansatz eine »ständige historische Antithese, deren Auflösung nur durch einen Rückgriff geschehen kann und daher als Utopie angesprochen werden muß« (Beat Föllmi). In der »Ode to Napoleon« manifestiert sich eine gewandelte Auffassung von der »Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen«. Schönberg sah den der Methode intendierten Zweck einer Zusammenhang stiftenden Wirkung nicht länger durch Reminiszenzen an die Tonalität gefährdet. Hinzu tritt in diesem politischen Manifest eine symbolträchtige Zitattechnik: Bei der Deklamation der Worte »the earthquake voice of victory« werden motivische Rückbezüge zur »Marseillaise« und Beethovens Fünfter Symphonie miteinander kombiniert.

Therese Muxeneder
© Arnold Schönberg Center